"MOVE BLEIBT UNSER CREDO!" RÜCKBLICK FACHPRESSE-KONGRESS 2019: #MOVE

Das Rad der Transformation dreht sich immer weiter. Neue Geschäftsmodelle und sich stetig verändernde Zielmärkte sind das Eine. Visionen und ein neues Mindset, das die digitale Welt wirklich versteht, dabei das Andere. Wie beides zusammenkommt, zeigte unter dem Motto "#move" der Kongress der Deutschen Fachpresse 2019, zu dem sich am 22. und 23. Mai mehr als 475 Geschäftsführer und leitende Mitarbeiter aus Fachmedienhäusern und angrenzenden Branchen in Berlin trafen.

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland feierlich verkündet. Festgeschrieben in Artikel 5, Absatz 1 sind seit damals die Meinungs- und die Pressefreit. Auf den Tag genau 70 Jahre später standen diese beiden Eckpfeiler und Garanten einer demokratischen Gesellschaft im Mittelpunkt einer Keynote auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Fachpresse in Berlin. Denn die im April von Reporter ohne Grenzen veröffentlichte Rangliste der Pressefreiheit zeigt, dass sich der Grad der Pressefreiheit in etlichen Ländern der Europäischen Union stark verschlechtert hat. Auch in Deutschland ist Pressefreiheit keine Selbstverständlichkeit mehr, auch hier werden Journalisten von Rechtsextremen und Salafisten angegriffen. Letzteres trifft zwar auf Fachjournalisten und Fachmedien eher nicht zu, Pressefreiheit geht jedoch auch sie etwas an.

Die Stimme erheben für redaktionelle und unternehmerische Freiheit
"Die Pressefreiheit ist nicht nur relevant für den politischen Willensbildungsprozess. Sie ist auch Voraussetzung für eine florierende Wirtschaft", betonte Dr. Klaus Krammer, Sprecher der Deutschen Fachpresse, in seiner Eröffnungsrede Unternehmen brauchten einen freien Markt, der gefährdet sei, wenn die Pressefreiheit unter Druck gerate. Ein Abgleich der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen mit dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International habe gezeigt: Je stärker die Pressefreiheit unter Druck ist, desto größer ist die wahrgenommene Korruption in diesen Ländern. Die Wirtschaft müsse sich daher im eigenen Interesse an vorderster Stelle als Verfechter der Pressefreiheit positionieren. "Die Pressefreiheit braucht auch unsere Stimme!", betonte Krammer. Das forderte auch Prof. Dr. Christoph Fiedler, Geschäftsführer Europa und Medienpolitik im VDZ, der neben der redaktionellen auch die wirtschaftliche Freiheit als einen essenziellen Teil der Pressefreiheit sieht.
Wie aber steht es um die Pressefreiheit in der heutigen vernetzten Welt – die vor 70 Jahren noch im Wortsinne undenkbar war und im Fokus von Fiedlers politischer Keynote stand? Datenschutzgrundverordnung, Uploadfilter und diskriminierungsfreier Zugang sind nur einige Stichworte, die den Juristen umtreiben. Er appellierte an die Zuhörer, aktiv zu werden und sich direkt an Politiker auch in Brüssel zu wenden. "Die Stimme der Unternehmen ist wichtig", sekundierte er den Fachpresse-Sprecher. Die Pressefreiheit brauche dieses Engagement, wenn sie in einer digitalen Welt eine Zukunft haben wolle.

#digidingens 
Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes ist nicht die einzige Gewissheit, die in jüngerer Zeit ins Wanken geraten ist. "Die Fachmedienhäuser in Deutschland befinden sich im größten Umbruch ihrer Geschichte" konstatierte Krammer. "Move bleibt unser Credo". Angesichts der Veränderungen in Wirtschaft und Wissenschaft würden mehr denn je verlässliche Begleiter, Wissensvermittler, Marktplätze und Netzwerke gebraucht, um diese Veränderungen verstehen und gestalten zu können. "Wir Fachmedienanbieter können das leisten", sagte Krammer. "Das ist unsere Aufgabe und unsere Chance in der Zukunft!"
Über und hinter all dem steht das, was gemeinhin unter Digitalisierung zusammengefasst wird. #digidingens, wie Christian Bredlow, Geschäftsführer Digital Mindset, es formulierte. Er könne diesen Begriff eigentlich nicht mehr hören, gestand er. Und überhaupt: "Was ist Digitalisierung eigentlich?" Für ihn auf jeden Fall keine Technologie. "Es ist vielmehr eine veränderte Geisteshaltung", postulierte Bredow, der Teile seines Vortrags rappte, seine Zuhörer, wie andere jüngere Referierende auch, ganz selbstverständlich duzte und für den Menschen die eigentlichen Treiber des Wandels sind.

Und wie sieht euer Mindset aus?
Über 40-jährige sind als Zielgruppe auf Facebook zu finden, Mittzwanziger gähnen eher bei dem Gedanken daran und folgen sich bei Instagram, Kinder posten ihre "ToysReview" auf YouTube, die millionenfach angeklickt werden und sattes Geld bringen, und Fünfjährige sind es gewohnt, mit Computern mit so einprägsamen Namen wie Alexa zu reden – so wie das Telefon mit Wählscheibe für heute 60-Jährige Normalität in ihrer Kindheit war. "Und wie sieht euer Mindset aus?", fragte Bredow deshalb in die Runde. Sein Rat: "Versteht Digitalisierung und etabliert bei euch ein digitales Mindset." Dann könne es auch mit der eigenen Transformation klappen. "Offenheit, Neugier, Risikobereitschaft und Flexibilität kennzeichnen das nötige Digital Mindset. Wir alle müssen entscheiden, mit welchem Know-how, mit welchen Qualifikationen wir in unseren Häusern den Wandel gestalten können", gab Krammer die Richtung vor.

Transformation ist hart
Der englische Begriff Mindset, der umfassender ist als seine deutschen Entsprechungen, zog sich durch den gesamten Kongress. Wie ein unsichtbarer Faden, der alle Vortragenden und alle Themen miteinander verband. "We have changed our publishing mindset during our transformation journey", sagte etwa Steve Newbold, Managing Director XEIM Centaur. In dem Mittelpunkt gerückt sei eine "costumers centered perspective". Ein schwieriger Shift. "Transformation is hard, really hard", so Newbold. Bei XEIM war sie zudem radikal. Die Vision wurde größer. Der zuvor nationale Fokus hat sich zu einem "international scalable business" geweitet. Das Geschäft steht mittlerweile auf ganz neuen Beinen. Während das britische Medienhaus vor fünf Jahren noch stark abhängig von Anzeigenerlösen war, lebt es mittlerweile von einem Umsatzmix, der in den Feldern Advise, Inform und Connect generiert wird. Print hat darin nur noch einen geringen Anteil.

Riesenchance oder Risiko?
Ähnlich radikale Transformationsgeschichten brachten Matthias Bauer, Vorsitzender der Geschäftsführung Vogel Communications Group, und Peter F. Schmid, Geschäftsführender Gesellschafter Wer liefert was?, das seit 27. Mai als Visable firmiert, mit. Wer liefert was? hat sich, um zukunftsfähig zu sein, von einem Verlagshaus zu einer Tech-Company entwickelt. Das Geschäft lief zwar, war erfolgreich und solide, vorherrschend sei jedoch ein altes Mindset gewesen. Bei den Mitarbeitern habe das Verständnis "vom Internet" gefehlt, so Schmid. Er hingegen wollte, als er 2012 in den Verlag einstieg, die "Riesenchance" nutzen, die er sah. Der Weg in die Zukunft begann auch hier mit einer Vision, nämlich "B2B in Europe starts with us". Letztlich blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Von der Organisation übers Logo und dem Produktportfolio bin hin zur Unternehmenssprache, alles hat sich verändert. Und die Veränderung geschah nicht sequentiell, sondern nebeneinander in rasanter Geschwindigkeit. "Sie müssen ganz viel parallel machen. Sonst bekommen Sie kein Momentum hin", sagte Schmid, der weiß, dass man (Transformations-)Kultur vorleben muss. Auch wenn es manchmal schwerfalle.

Wir können mehr als Verlag
Bauer, der vor 15 Jahren als Praktikant bei Vogel anfing, ist ebenfalls bewusst, dass in einem Transformationsprozess viel von der Führung abhängt. "Im Prozess können wir nur ans uns selbst scheitern", sagte er in Berlin und betonte: "Es ist unfassbar viel Kommunikation und Bekräftigen, dass man es ernst meint." Zwei Coaches helfen der Führungsriege und den Mitarbeitern, in ihre neuen Rollen innerhalb der neu formierten Unternehmensgruppe hineinzufinden. Eine Marktanalyse gab 2017 die Richtung vor. Salopp ausgedrückt zeigte sie, dass (auch) in den Zielgruppen sich total viel verändert, wodurch neuer Informations- und Kommunikationsbedarf entsteht – den Vogel befriedigen will und kann. "Wir sehen die Veränderungen als riesige Chance", sagte Bauer. Die Vision "Vogel 2022" lautet dementsprechend: "Die Vogel Communications Group soll in ihren Märkten die bedeutendste Plattform für kundenspezifische Fachkommunikation sein". Erreicht werden soll dies auch hier durch einen neuen Dreiklang, in diesem Fall "Wissen-Agentur-Media". Alle Aktivitäten zielen dabei auf das Kommunikationsbudget der Kunden, Formate sind nachrangig. Und ein Redakteur, der sagt: "Ich schreibe aber nicht für eine Agentur", muss eben an seinem Mindset arbeiten.

Kundenzentrierung als DNA …
Seine Rolle in dem sich veränderndem Rechtmarkt zu finden, hat sich Wolters Kluwer Deutschland auf die Fahnen geschrieben. Eine von dem Unternehmen in Auftrag gegebene Studie belegt, dass transformative Technologien sich in den kommenden drei Jahren auf die Arbeit von Juristen auswirken werden. Es entsteht ein neues digital legal Ecosystem, in dem Wolters Kluwer Deutschland sich als der führende Anbieter positionieren will. So die Vision. Strategische Basis ist die "Inhaltekompetenz in Kombination mit Technologiekompetenz", so Stephanie Walter, Geschäftsführerin und Leiterin des Geschäftsbereichs Legal Wolters Kluwer Deutschland. Ähnlich wie bei XEIM stehe der Kunde im Mittelpunkt, Kundenzentrierung als "die DNA", das Wissen um die Arbeitsweisen der Kunden ist ein zentraler Faktor.

… auch bei einer gemeinsamen Inhalteerstellung
Die DNA von Sigmund Talks ist wiederum "Technologie und Kreation", so CEO Marc Süß im Start-up & Tech Outlook. Das Ziel des jungen Unternehmens, das im vergangenen Jahr von Contentshift zum „Content-Start-up des Jahres“ gekürt wurde, ist hochgesteckt. "In five years Sigmund Talks will be the leading global platform for content creation": so die Vision. Es geht um Co-Creation und inhalt-, nicht formatbasiertes Arbeiten, Mittel zum Zweck ist ein intelligenter Chatbot, der automatisiert Inhalte, etwa für individuelles Content Marketing, erstellt. Konrad Gulla, der Gründer von Keeeb, spricht auch schon mal von "lebendigen Dokumenten", wenn er sich über Contenterstellung Gedanken macht. "Muss es immer selbsterstellter Content sein?", fragte er in der Session IT & Tools am zweiten Kongresstag. Er kann sich für Fachmedienhäuser gut eine aktive Zusammenarbeit mit Kunden im Bereich Content vorstellen. Das ist aber erst die zweite Stufe, die es zu zünden gilt. Primär geht es Keeeb um intelligentes Wissens- und Informationsmanagement und den Nutzer deutlich sichtbar mit eigenen Inhalten da abzuholen, wo er recherchiert. Nämlich in der Regel bei Google. Wer es ausprobieren will: Die Forrester Extensions For Google Search ist hier zugänglich. Allerdings reagierten Fachverlage bislang noch eher zögerlich auf die Möglichkeit, so Gulla. Vielleicht hat er ja auch schon Bredlows Lieblingsausrede "Das ist grundsätzlich richtig, aber hier nicht anwendbar" zu hören bekommen.

Mit Purpose punkten
Grundsätzlich richtig scheint es mit Blick auf die nachfolgende Generation zu sein, nicht nur eine Vision zu entwickeln, wo man als Unternehmen hin will, und in einer Mission festzuschreiben, wofür man aus Kundensicht da ist, sondern auch einen Purpose zu formulieren, wie Ehrhardt Heinold, Geschäftsführer Heinold, Spiller und Partner, es in der Session Start-up & Innovation ausführte. Purpose meint hier dezidiert den gesellschaftlichen Sinn eines Unternehmens und korreliert damit mit den Bedürfnissen der Generation Y, für die Sinnhaftigkeit ein wichtiger Faktor in Bezug auf ihr Arbeitsleben darstellt. "Die Gen Y hat ein komplett neues Mindset", betonte auch Sarna Röser, Bundesvorsitzende des Verbands Die Jungen Unternehmer. Und vergaß auch nicht, darauf hinzuweisen, dass die ihr nachfolgende Generation Z, gerne auch YouTube-Generation genannt, "nochmal eine ganz andere Vorstellung hat". Es kommt also darauf an, Voraussetzungen zu schaffen, wie Heinold es ausdrückte.

Employer Branding ist preiswürdig
Voraussetzungen schaffen und sich Employer Branding auf die Fahnen zu schreiben. Erstmals wurde in diesem Jahr bei den Awards "Fachmedien des Jahres 2019" ein Preis in der Kategorie Employer Branding vergeben. Eine "absolut zeitgemäße Kategorie", wie Bernd Adam, Geschäftsführer Deutsche Fachpresse, bei der Verleihung der der Awards "Fachmedium des Jahres 2019"  und "Fachjournalist des Jahres 2019" zum Auftakt der B2B Media Night sagte. Ausgezeichnet wurde Holzmann Medien, das seine Azubis aktiv in das Employer Branding einbezieht. Sie tummeln sich auf Instagram, machen eine eigene Zeitung, heimsen Auszeichnungen ein, bestücken die Social Wall – und sind große Fans von Sebastian Holzmann, dem Skirennfahrer im Team des Deutschen Skiverbands, der auf seinem Helm das Logo von Holzmann Medien trägt. Dass Individualsponsoring bringe, so Verlagsleiter Anzeigen/Marketing/Vertrieb Jan Peter Kruse in der Session Employer Branding & HR, eine gewisse Exklusivität. Es bietet zudem viele Möglichkeiten und Spielarten, die alle auf die Arbeitgebermarke einzahlen.
Platz 1 des Awards "Fachjournalist des Jahres" belegte übrigens Christoph Seyerlein. Ausgezeichnet wurde der Redakteur bei kfz-betrieb unter anderem für die kritische Tonalität seines Artikels Heute Palast, morgen Ballast?, der sich mit VW auseinandersetzt. Sein Credo sei, sagte Seyerlein, als er den Preis entgegennahm, keinen zu verschonen, wenn ihm etwas auffalle. Dies geht aber nur, wenn die Presse wirklich frei ist. Ein Grund mehr, aktiv dafür einzutreten.

Susanne Broos